TRUTNAU, Ludwig & Ralf SOMMERLAD (2006): Krokodile. Biologie und Haltung. - Edition Chimaira, Frankfurt/M.; 646 S., Hardcover, 251 Farbfotos,
23 farbige Karten, ca. 164 S/W-Abb.
ISBN 3-930612-96-8, 98,- EUR


Krokodile sind eine wahrhaft imposante Tiergruppe, und passend dazu liegt nun auch brandneu dieses wahrhaft imposante Buch auf dem Tisch.
Und da muss es auch liegen, denn schon mein Kollege Steven WINCHELL von der spanischen REPTILIA philosophierte in seiner Rezension für unser Schwestermagazin über "in die Seiten eingewobenes Gold", weil das Ding so verdammt schwer ist.
In der Tat ist das Lesen darin ganz vorwörtlich ein Kraftakt, wenn man es buchstäblich in den Händen hält.
Aber auch der Inhalt ist gewichtig.
Hier kann man guten Gewissens sagen, trotz der Inflationstendenz, die das Wort erleidet, dass die Autoren wirklich ein Standardwerk vorgelegt haben.
Sie selbst schreiben gleich zu Beginn im Vorwort :  Wenn man ein solches Buch schreibe, müsse man sich "in vielfacher Hinsicht schon jahrelang vorher mit der Materie beschäftigt haben und stets auf dem neusten Kenntnisstand sein. Das erfordert einen das normale Maß übersteigenden Idealismus und ist darüber hinaus auch mit hohen finanziellen Kosten verbunden. So arbeiteten wir uns durch eine Fülle an Fachliteratur hindurch, und der Ältere von uns pflegte im Verlauf von 30 Jahren 11 unterschiedliche Krokodilarten in einer privaten Anlage und studierte täglich deren Verhalten. Darüber hinaus besuchten wir auf zahlreichen herpetologischen Reisen die Lebensräme."
Genau diese langjährige intensive Beschäftigung mit dem Thema, die man bei manch anderem Fachbuch ja immer wieder schmerzlich vermisst, macht die besondere Qualität des vorliegenden Werkes aus.
Hinzu kommt, dass die Autoren sich nicht zu schade waren, bei speziellen Themen die Hilfe noch kompetenterer Mitarbeiter zu gewinnen : So berichten in je eigenen Kapiteln Daniela SCHWARZ über ihr Promotionsthema um Ursprung und Evolution der Krokodile, Hemmo NICKEL, ein bekannter Krokodilforscher, über die Systematik und der langjährige Experte in Sachen Kroko-Leder Karl-Heinz FUCHS über die Haut sowie deren gerbereitechnische Verarbeitung.
Vor allem NICKELS Beitrag ist dabei von besonderem Interesse, da er einen Einblick in die aktuelle Forschung gibt, so dass man eine recht präzise Vorstellung vom derzeitigen Kenntnisstand in Sachen Systematik erhält, auch wenn dieser z.T. noch nicht veröffentlicht oder abschließend geklärt ist.
Die Autoren selbst haben bei ihrer Bearbeitung kaum einen Aspekt ausgelassen.
Die gesamte Biologie der Tiere wird umfassend dargestellt, von ihren körperlichen Merkmalen über Verbreitung und Lebensräme bis zum spektakulären Verhalten.
Egal, ob nun Gastrolithe als Verdauungshilfe oder Vögel als Zahnbürstenersatz - jeder Aspekt wird kompetent angesprochen, mit vielen eigenen Beobachtungen angereichert und zudem mit gründlicher Literaturauswertung gestützt.
Dem Engagement vor allem von SOMMERLAD in der Crocodile Specialist Group der IUCN ist sicherlich geschuldet, dass die Gefährdungssituation ebenso wie die Schutzbemühungen besonders umfassend dargestellt werden, so dass man einen fundierten Überblick über die leider noch alles andere als rosige Situation dieser lebenden Fossilien erhält.
Sehr umfangreich und von besonderem Interesse ist auch das Kapitel "Krokodile und Menschen", ein packender Abschnitt, der die Faszination, aber auch die gegenseitige Bedrohung, die Mensch und Reptil von alters her ausstrahlen, hervorragend rüberbringt.
Hier zahlt sich die Belesenheit der Autoren besonders aus, die umfassendes Material über die kulturhistorischen Verwebungen vorlegen und zudem gut wiederzugeben wissen.
Der Abschnitt über Angriffe von Krokodilen auf Menschen ist zugegeben etwas schaurig, aber auch dieser Aspekt gehört nun einmal dazu, ja, ist wahrscheinlich sogar ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Tiere, denn nach der Lektüre dieses Horrorkapitels wird wohl hoffentlich kein europäischer Reptilienfreund "denen da unten" blanke Ignoranz vorwerfen, wenn die Einheimischen nun mal nicht immer gut auf diese Tiere zu sprechen sind, die einfach eine ganz reale Gefahr darstellen.
Auch diesem Aspekt muss im Krokodilschutz Rechnung getragen werden, und dass dies geschieht, wird an vielen Beispielen gleich mit gezeigt.
Nicht zuletzet beschließen die Autoren diesen umfangreichen Abschnitt mit einem "Plädoyer für die Krokodile", ein in einem solchen Fachbuch sicher eher ungewöhnliches Kapitel, das dieses Werk aber nur umso sympathischer macht.
Der anschließende terraristische Teil fällt dagegen ein klein wenig ab.
Dass die gesamte rechtliche ( sowohl Artenschutz- als auch Gefahrentier- ) Problematik einfach mit dem Hinweis auf künftige Änderungen nicht dargestellt wird, ist bedauerlich.
Denn wohl manchem Leser, der durch dieses Buch angefixt werden könnte, wären ein paar Hinweise in diese Richtung sicherlich dienlich, wenn natürlich auch jeder, der Krokodile halten will, ohnehin über entsprechendes Vorwissen und Erfahrungen in der Terraristik verfügen sollte.
Vielleicht deswegen ist es auch gar nicht so schlimm, dass der terrarienpraktische Teil ebenfalls Teil tendenziell eher etwas knapp ausfällt; dennoch hätte ich mir gewünscht, dass konkreter auf bei Krokodilen ja nun einmal etwas kompliziertere Fragen wie Anlagenbau und Technik eingegangen worden wäre, auch ein paar praktische Beispiele wären hier schön gewesen.
Aber was soll's - dafür folgt ein Artenteil, der wiederum keine Wünsche offen lässt.
Art für Art werden 23 Krokodile, systematisch gegliedert, ausführlich vorgestellt.
Auch hier bleiben keine Fragen offen.
Ein kleines Glossar sowie ein wirklich großes Literaturverzeichnis runden das Werk ab, die Autorenporträts am Ende sind eine schöne Zugabe, denn beim Lesen hat man schon so etwas wie ein persönliches Verhältnis zu den Autoren aufgebaut, die umgekehrt immer wieder auch sehr persönliche Berichte und Anekdoten über ihre Krokodilerlebnisse zum Besten geben.
Dieser ( nur in Teilen ) anekdotische Stil macht das Lesen zwar manchmal etwas unübersichtlich, dafür aber auch im Vergleich zum heute oft gepflegten supernüchternen Sachstil gleichzeitig so ungeheuer unterhaltsam und spannend, dass dieses Werk durchaus als echtes Lesebuch bezeichnet werden kann, und das ist in meinen Augen ein großes Kompliment.
Noch kurz zur Ausstattung : Im ersten Teil sind aus Kostengründen alle Farbbilder auf Farbtafeln als ein großer Block zusammengefasst; schade, aber verständlich, ebenso wie die Tatsache, dass die Bilder, die in den Text eingebunden sind, nur in Schwarzweiß abgedruckt wurden.
Im Artenteil gibt es immerhin pro Art einen kleinen Farbtafelblock, sodass insgesamt eine erkleckliche Anzahl von 251 Farbfotos zusammenkommt.
Diese sind überwiegend von guter bis hervorragender Qualität, die paar Ausnahmen sind dafür ausnahmslos von hohem dokumentarischen Wert, sodass an der Bildauswahl nichts zu nörgeln ist.
Die Abbildungen illustrieren fast jeden im Text behandelten Aspekt und tragen so zum erstklassigen Gesamteindruck bei.
Kurzum : das Buch ist zwar nicht ganz billig, aber jeden einzigen der 98 Euros wert, die man dafür auf den Tisch legen muss.
Unbedingte Kaufempfehlung - es ist ja auch bald Weihnachten.


Quelle :  REPTILIA  ( 12 / 2006 )


Heiko Werning





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